Dienstag, 2. Februar 2016

Meine Midlife Crisis


oder: Was Du heute kannst besorgen…



Bereits seit einigen Minuten lag ich faul, grübelnd und mürrisch auf dem Sofa. Irgendwie grantig und frustriert. Keinesfalls depressiv aber auch nicht so unbeschwert wie sonst. Was war das nur? Mies gelaunt befasste ich mich mit einer internen Bestandsaufnahme. Diese Rückenschmerzen… Gehen die vielleicht auch mal wieder weg? Und wann bin ich eigentlich mal nicht müde? Ich würde sooo gerne schlafen… Mist, war Montag nicht ein Termin mit dem Controlling angesetzt? Boah, darauf habe ich ja gar keinen Bock. Und woher – verdammt noch mal – kommen plötzlich diese fünf extra Kilo auf meinen Hüften?
 

Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich war eine Gefangene. Gefangen in einem alten, dicken, unmotivierten Körper. Na super. War das jetzt eine Midlife Crisis? Meine Begeisterung konnte kaum größer sein. Aber die Symptome passten. Hatte ich doch in letzter Zeit durchaus öfter wehleidig-neidisch die Studenten in unserer Stadt beobachtet. Die sind zwanzig Jahre jünger als ich, voller Energie (naja manchmal) und stehen vor der Entscheidung, in welche Richtung ihr Leben denn gehen soll. Alle sind sie mehr oder weniger ahnungslos, mehr oder weniger selbstbewusst, mehr oder weniger idealistisch. So war ich auch mal. Hachja.


Fast unbemerkt bin ich also in die Krise gerutscht.

Woran merkte ich eigentlich, dass ich alt werde?

Liegt es daran, dass ich mich mittlerweile nicht mehr so ohne weiteres auf einen Job als Junior-XYZ bewerben kann, ohne dass es merkwürdig wirkt? Völlig egal, wie toll die Firma oder wie aufregend die Stellenbeschreibung sein mag?

Oder  an der Tatsache, dass alle verrückten und ausgefallenen Ideen in meiner Jugend frisch und unverbraucht wirkten. Die Kreativität zählte. Heute habe ich immer noch diese Ideen, sogar angereichert mit Erfahrungswerten aber jetzt will man von mir einen Business Plan dazu, ich soll die Umsetzbarkeit prüfen, Dienstleister briefen und Kosten sparen. Kreativität ist sekundär geworden. Ausgefallene Ideen sind in meinem Alter nicht mehr frisch, sondern verschroben.

Oder dass die Angst, plötzlich ungewollt schwanger zu werden und etwaige Zukunftsperspektiven in Gefahr zu bringen, auf einmal der Erkenntnis weicht, dass man womöglich gar kein Kind mehr bekommen wird?

 

Ok, das ist jetzt doch ein bisschen heftig. Aber ich musste den Tatsachen ins Auge sehen. Ich straffte meine Schultern und informierte meinen wunderbaren Ehemann: „Ich bin ab jetzt in der Midlife Crisis!“ Auf seinen fragenden Blick hin ergänze ich „Früher oder später kommt sie ohnehin. Ich erledige das lieber jetzt, dann habe ich es hinter mir!“ Er kennt mich und daher lächelte er nur mitleidig: „Ok, aber bitte nicht so dolle.“

 
Ich dachte also weiter nach. Sind wir doch mal ehrlich: mein Leben ist ganz schön super. Ich habe so viel Liebe und Glück in meiner Welt, dass ich mich nicht beschweren kann. Wieso sollte das Alter mir das jetzt vermiesen? Klar, vielleicht würde ich heute einen anderen Weg gehen, wenn ich entscheiden könnte. Vielleicht würde ich Instrumentenbau lernen. Oder einen tollen Freizeitsport machen, Parcours oder so. Moment, Stopp. Parcours kannte ich auch schon vor gut 12 Jahren und empfand mich bereits damals als zu ungeschickt, um mich daran zu versuchen. So war das nämlich damals.

 

Eins ist doch klar: Das Alter ist nicht der allein entscheidende Faktor.

Es ist auch die persönliche Geisteshaltung. Zeit für eine kurze Bilanz meiner eigenen Haltung.
 

Negativ:


  • ich bin zu zögerlich. War ich damals, bin ich heute. Sonst hätte ich ja zum Beispiel Parcours als Hobby gewählt. Is klar, ne?

  • Ich bin träge: von 10 neuen Ideen, die ich habe, setze ich allenfalls ein oder zwei um.

  • Ich bin teilweise undiszipliniert: vor allem, wenn es um Süßigkeiten (eher zu viel) oder Sport (eher zu wenig) geht. Manchmal halte ich es aber auch für eine ganz ordentliche Zeit durch, wie z.B. das Nichtrauchen.


Interessant. Ich bin nicht ernüchtert. Es ist nicht so schlimm wie ich dachte. An den Punkten kann ich definitiv arbeiten. Jetzt schaute ich mal rüber zur Haben-Seite.

 
Positiv:


  • Ich bin offen für Neues: Ich komme mit Veränderungen gut klar und will ständig dazu lernen. (z.B. Skizzieren, Gitarre spielen, HTML5, Dänisch,…)

  • Ich habe immer noch sooo viele Ideen. Und es gibt noch so viele Dinge, die ich tun und ausprobieren will. Offenbar ist das nicht altersabhängig. Was ein Glück!

  • Ich bin fleißiger Optimist. Fleißig, weil ich finde, Optimismus zu bewahren, bedarf häufig auch harter Arbeit. Jeder kann Sonnenschein-Optimist sein. Die Kunst besteht meines Erachtens darin, auch bei Wind und Regen obenauf zu bleiben.


Das ist doch eine ganz ansehnliche Bilanz und kein schlechter Ausgangspunkt, meine Krise in den Anfangszügen zu ersticken. Wie sagt das Lumpenpack in seinem Song "Guacamole" so schön? "Ich bin in einem Alter, in das ich niemals kommen wollte. Doch jetzt, wo ich schon mal da bin, findet Ihr mich am Buffet!" Und indem ich mir bewusst machte, was mir wichtig ist, konnte ich plötzlich auch die Motivation für notwendige Veränderungen aufbringen oder mich von gar nicht mehr so wichtigen Zielen verabschieden.

 

Was ist denn jetzt mein Ergebnis?


  1. Ich habe nach wie vor die Möglichkeit, Chancen zu ergreifen und Ideen umzusetzen. Dafür bin ich keineswegs zu alt. Ich muss nur meinen Hintern hochkriegen.

  2. Ich befinde mich jetzt in einer Phase meines Lebens, in der ich nicht will, dass meine Kleidergröße mit meinem Alter konform geht. Auf gar keinen Fall!

  3. Eben weil ich zu meinen Ideen auch mein Wissen zur Umsetzbarkeit und die Kosten-Nutzen-Analyse beisteuern kann, bin ich nun mal Senior und kein Junior. Und für Seniors gibt es auch wahnsinnig spannende Jobs (und besseres Gehalt, hehe).

  4. Ob ich jemals Kinder bekomme? Ich weiß es nicht. Es kommt, wie es kommt und wie es kommt ist es gut.

Ich wandte mich meinem wunderbaren Ehemann zu, nachdem ich fast zwei Stunden keinen Ton gesprochen hatte und gab ihm einen Kuss: „So. Ich bin fertig. Midlife Crisis ist abgehakt.“ Und weil er mich kennt, lächelt er wieder, erleichtert aber auch ein bisschen mitleidig, als ich sage „Ich muss jetzt herausfinden, wie man ein Cello baut. Ich wollte schon immer mal Cello lernen aber erst will ich wissen, wie man eins baut!“


In diesem Sinne. Lasst es Euch gut gehen. Das Leben ist lecker!
die pia

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